Debatte um die Aufnahme von Atomkraft und Gas in die EU-Nachhaltigkeitstaxonomie

Von Eva-Maria Schatz.

Die sogenannte EU-Nachhaltigkeitstaxonomie soll auf dem Weg zu einer „grünen“ europäischen Wirtschaft eine maßgebliche Rolle spielen, indem sie klare Vorgaben für Finanzprodukte und Wirtschaftsaktivitäten liefert und für Transparenz sorgt. In einem Anfang Februar veröffentlichten delegierten Rechtsakt wird aus Atomkraft und Gas gewonnene Energie unter bestimmten Voraussetzungen als „nachhaltig“ im Sinne des Art. 9 der Taxonomie anerkannt. Die EU-Kommission erntete für dieses Vorhaben harsche Kritik und muss sich vorwerfen lassen, die potentielle Wirkung der Taxonomie entscheidend zu schwächen.

Die EU-Nachhaltigkeitstaxonomie als Baustein für eine nachhaltigere europäische Wirtschaft

Die Erstellung der Kriterien für nachhaltige Finanzprodukte im Rahmen der im Juni 2020 in Kraft getretenen sogenannten EU-Nachhaltigkeitstaxonomie oder Taxonomie (Verordnung 2020/852 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen) wird von Wirtschaft, Politik und Umweltschutzverbänden gleichermaßen gespannt verfolgt. Daher überrascht die heftige Debatte nicht, die darum entbrannt ist, dass die EU-Kommission Atomkraft und Gas als nachhaltig einstufen könnte. Am Silvesterabend 2021 wurde dieses Vorhaben in dem Entwurf für einen ergänzenden delegierten Rechtsakt bestätigt, den die EU-Kommission in leicht abgeänderter Form am 2. Februar 2022 angenommen hat (EC, Press Corner 02.02.22; Delegierter Rechtsakt). Der folgende Text soll einen groben Überblick über die allgemeine Funktionsweise der Taxonomie bieten und zentrale Streitfragen der umstrittenen Einstufung von Atomkraft und Gas in ihrer rechtlichen Systematik verorten.

In der EU-Strategie zur Finanzierung einer nachhaltigen Wirtschaft steht die Taxonomie neben der Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (VO 2019/2088) und der Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (bislang lediglich als Vorschlag vorhanden). Dabei legt die Taxonomie Begrifflichkeiten fest, während die anderen beiden Instrumente bestimmen, welche Daten diesbezüglich wie offengelegt werden müssen. Ziel ist es, auf europäischer Ebene Investitionen für nachhaltige Projekte zu generieren. Dahinter steht unter anderem die Einsicht, dass Finanzströme umgeleitet werden müssen, wenn Klima- und Umweltschutzziele, wie das 1,5° C Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens und die 17 Ziele der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung („Sustainable Development Goals“), erreicht werden sollen. Zudem wurde ein Bewusstseinswandel bei Verbrauchern in den letzten Jahren festgestellt, der sich in einem wachsenden Interesse an „grünen“ Finanzmarktprodukten niederschlägt. Die EU-Taxonomie soll in diesem Sektor einheitliche Standards setzen und dadurch Finanzprodukte für Investoren vergleichbar machen und „Greenwashing“ auf dem Finanzmarkt unterbinden (Erwägungsgründe 13 und 11 der Taxonomie).

Es ist hervorzuheben, dass es sich bei der Taxonomie in erster Linie um ein Instrument zur Schaffung von Transparenz handelt und nicht etwa um eine Festlegung dahingehend, wie oder in welche Industriezweige grundsätzlich investiert werden darf. Die Taxonomie soll den Investoren eine robuste Handhabe liefern, um festzustellen, wann sie in ein Finanzprodukt investieren, das an den europäischen Umweltzielen ausgerichtet ist. Ein solches „gemeinsames ganzheitliches Verständnis der ökologischen Nachhaltigkeit von Tätigkeiten und Investitionen“ ist, laut des Aktionsplans „Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ der Kommission, notwendig für die Verlagerung von Kapitalflüssen in eine nachhaltigere Richtung (Erwägungsgrund 6 der Taxonomie).  Auswirkungen auf die Realwirtschaft entfaltet die Taxonomie insofern, als dass Finanzmarktteilnehmer, die nachhaltige Finanzprodukte anbieten, offenlegen müssen, inwiefern die zugrundeliegenden Tätigkeiten mit der Taxonomie übereinstimmen und diese Offenlegungspflichten auch für bestimmte Unternehmen gelten (Art. 1 der Taxonomie).

Die Nachhaltigkeitsdefinition der Taxonomie

Ein Produkt ist gem. Art. 3 der Taxonomie „nachhaltig“, wenn es einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung eines oder mehrerer der Umweltziele in Art. 9 leistet, nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines oder mehrerer dieser Umweltziele führt, den in Art. 18 festgelegten Mindestschutz einhält und bestimmten technischen Bewertungskriterien entspricht.

Die Umweltziele in Art. 9 sind folgende:

  •            Klimaschutz,
  •           Anpassung an den Klimawandel,
  •           die nachhaltige Nutzung von Schutz von Wasser- und Meeresressourcen,
  •           der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft,
  •           Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung,
  •           der Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.

In den Artikeln 10–16 der Taxonomie wird spezifiziert, was ein wesentlicher Beitrag zum jeweiligen Umweltziel voraussetzt. Der neue delegierte Rechtsakt soll die 2021 erlassenen Verordnungen EU 2021/2139 und EU 2021/2178 anpassen, die die technischen Bewertungskriterien hinsichtlich der ersten beiden Umweltziele enthalten. In diesen Verordnungen ist festgelegt, unter welchen Umständen eine Wirtschaftstätigkeit einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz oder zur Anpassung an den Klimawandel leistet, wann erhebliche Beeinträchtigungen der übrigen Umweltziele der Taxonomie vermieden werden und welche Informationen in Bezug dazu offenzulegen sind.

Im Oktober 2020 wurde die Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen („Plattform for sustainable Finance“; im Folgenden: Plattform) eingesetzt, eine Expertengruppe zusammengesetzt aus Vertretern und Vertreterinnen verschiedener Interessensgruppen (EC, Informationsseite). Die Plattform berät die EU-Kommission bei der Überarbeitung der Taxonomie und hinsichtlich der technischen Kriterien, die in der Taxonomie und den delegierten Rechtsakten verwendet werden (Art. 20 Abs. 2 der Taxonomie). Deswegen wird im Folgenden vor allem auf ihre Interpretation der Taxonomie und des delegierten Rechtsaktes Bezug genommen.

Atomkraft und Gas als Übergangstechnologien im Sinne des Art. 10 Abs. 2 der Taxonomie

Welche Voraussetzungen eine Wirtschaftsaktivität erfüllen muss, um einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel zu leisten, wird in Art. 10 (Klimaschutz) und Art. 11 (Anpassung) der Taxonomie festgelegt. Bei Wirtschaftstätigkeiten, die einen wesentlichen Betrag zum Klimaschutz leisten, wird unterschieden zwischen Aktivitäten nach Art. 10 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 2 der Taxonomie. Energiegewinnung aus Atomkraft und Gas wird beides unter Art. 10 Abs. 2 der Taxonomie als „Übergangstechnologie“ („transitional activity“) eingeordnet (Erwägungsgrund 4, 6 des Delegierten Rechtsakt).

Dabei wird der Wortlaut des Art. 10 Abs. 2 der Taxonomie teilweise durch den delegierten Rechtsakt uminterpretiert und gedehnt (PSF, Response to the Complementary Delegated Act 2022, S. 2). Eine Voraussetzung zur Anerkennung einer Tätigkeit unter diesem Artikel ist, dass es keine „technologisch und wirtschaftlich durchführbare CO2-arme Alternative“ zu der Wirtschaftstätigkeit gibt. In den Erwägungsgründen des delegierten Rechtsaktes wird dieses Merkmal um den Zusatz „in ausreichendem Maße“ („at a sufficient scale“) erweitert (Erwägungsgründe 4, 6 des Delegierten Rechtsakt). Durch diese Erweiterung werden Gas- und Atomenergie, zumindest nach der Logik des delegierten Rechtsaktes, von dem Ausschlussgrund befreit, da es zwar CO2-ärmere Alternativen gibt, diese allerdings nicht in ausreichendem Maße ausgebaut sind. Die Formulierung „in ausreichendem Maße“ ist sehr unpräzise und schwächt den Art. 10 Abs. 2 an entscheidender Stelle.

Des Weiteren muss eine Übergangstechnologie, laut der Plattform, einen eigenständigen wesentlichen Beitrag („substantial contribution in their own right“) zum Klimaschutz leisten und dem „do no significant harm“-Kriterium genügen. Es reiche nicht aus, dass die Aktivität lediglich einen Beitrag zur Transition eines größeren Systems (wie der Energiewende) leistet. Der delegierte Rechtsakt lässt hingegen den Rückschluss zu, dass die EU-Kommission Gas und Kohleenergie als Aktivitäten für die Transition weg von Kohleenergie interpretiert. Die Stellungnahme der Kommission zur Annahme des Rechtsaktes bestärkt diesen Eindruck (EC, Press Corner 02.02.22). Diese Interpretation der EU-Kommission hinsichtlich des Kriteriums der Übergangstechnologie steht nicht mit der von der Plattform vorgesehenen Auslegung im Einklang.

Ein wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz durch Atom- und Gasenergie

Bei der Einbeziehung von Energie aus Gas wird scharf kritisiert, dass zunächst auch Erdgas als fossile Energiequelle als „einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leistend“ über den delegierten Rechtsakt in die Taxonomie mit aufgenommen werden soll.

Der delegierte Rechtsakt stuft die Energiegewinnung aus Gas als nachhaltig ein, wenn sie in einem Life Cycle Assessment einen Grenzwert von 270g CO2e/kWh nicht überschreitet. Dieser Wert übersteigt weit die Forderungen der Plattform, die für einen Grenzwert von 100g CO2e/kWh plädiert hatte und genügt laut deren Einschätzung nicht für die Einhaltung des 1,5° C Ziels aus dem Pariser Abkommen (PSF 2022, S. 28)

Für neu genehmigte Gaskraftwerke ist vorgesehen, dass diese im Jahr 2035 auf kohlenstoffdioxidarme Gase umsteigen müssen (Delegierter Rechtsakt, Annex I, Abschnitt 4.29. Nr. 1 b.). Die Plattform moniert in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die Erfüllung dieser Nachhaltigkeitsvoraussetzung in der Zukunft liegt, die Investitionen dennoch bereits gegenwärtig als nachhaltig ausgewiesen würden. 

Im Kontext von Atomkraft bezieht sich die EU-Kommission im delegierten Rechtsakt auf einen Bericht des hauseigenen Joint Research Centre (JRC, Technical assessment of nuclear energy 2021). Dessen Einschätzung sei sehr positiv und würde die Zukunftsaussichten der Atomkraft in Europa viel zu optimistisch einschätzen, so das deutsche Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE 2021, S. 24). Die Plattform weist darauf hin, dass sie den Treibhausgasausstoß von Atomenergie zwar als nahe Null anerkenne, diese Tatsache die Aktivität jedoch nicht automatisch grün und geeignet für die Taxonomie mache (PSF 2022, S. 10).

Atomkraft und das „do no significant harm” Kriterium aus Art. 17 der Taxonomie

Die spannendere Diskussion im Zusammenhang mit Atomkraft findet bezogen auf den Ausschlussgrund in Art. 17 der Taxonomie statt, der voraussetzt, dass keines der in Art. 9 der Taxonomie genannten Umweltziele erheblich beeinträchtigt werden darf (auch als „do no significant harm“ oder DNSH-Kriterium bekannt). Art. 17 legt u.a. fest, dass eine Tätigkeit als erheblich beeinträchtigend eingestuft wird, wenn die langfristige Abfallbeseitigung eine erhebliche und langfristige Beeinträchtigung der Umwelt verursachen kann (Art. 17 Abs. 1 d. iii.), die Tätigkeit zu einem erheblichen Anstieg der Schadstoffemissionen in Luft, Wasser oder Boden führt (Art. 17 Abs. 1 e.) und den guten Zustand und die Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen erheblich schädigt (Art. 17 Abs. 1. f. i.). Der Bericht des JRC, der zu dem Ergebnis kommt, Atomkraft würde dem DNSH-Kriterium genügen (JRC, Technical assessment of nuclear energy 2021) wurde in vielfacher Hinsicht kritisiert (PSF 2022, SCHEER 2021, BASE 2021, HBS 2021, Engelhardt, Annex 2 GoE 2021, ÖÖI 2021). Es werden verschiedene Aspekte des Gutachtens bemängelt, unter anderem der Umgang mit der zugrunde liegenden Literatur und die Literaturauswahl an sich (vgl. HBS 2021, S. 21). Bezogen auf die Auslegung des DNSH-Kriteriums wird beanstandet, dass im Bericht des JRC die Atomenergie teilweise im Vergleich zu anderen Energiegewinnungsmethoden betrachtet wurde und in diesem Zusammenhang ausgesagt würde, dass Atomenergie weniger erhebliche Beeinträchtigungen zur Folge hätte („do less harm“). Die Aussage, Atomenergie hätte weniger Schaden zur Folge als andere Energiegewinnungsarten, entspreche jedoch nicht der Aussage, sie würde keinen signifikanten Schaden anrichten (SCHEER 2021 , S. 9), wie im Rahmen des Art. 17 der Taxonomie vorausgesetzt. Des Weiteren wird die Auswahl der Daten, auf deren Basis das JRC zu diesem Vergleichsergebnis gelangt, teilweise scharf kritisiert (ÖÖI 2021, S. 21 ff.). In anderen Reviews des Berichts, wird darauf hingewiesen, dass wichtige Themen wie die Möglichkeit nuklearer Katastrophenfälle oder die Entsorgung von Atommüll nur unzureichend aufgearbeitet werden (BASE 2021, S. 5; HBS 2021, S. 4,5; Engelhardt, Annex 2 GoE 2021, S. 17). Was die Entsorgung des atomaren Mülls angeht, scheint sich das JRC sehr an der Theorie zu orientieren, ohne mit einzubeziehen, dass der Großteil der europäischen Mitgliedstaaten bislang keine geeigneten Standorte für die Endlagerung vorschlagen konnte (BASE 2021 S. 39 ff., ähnlich auch HBS 2021, S. 21). Zudem scheint der Report des JRC gänzlich über die Tatsache hinwegzusehen, dass Atomenergie das Risiko der Nutzung ihrer Materialien oder Technologien für Atomwaffen mit sich bringt (BASE 2021, S. 53; HBS 2021, S. 35 ff.; ÖÖI 2021, S. 33; wird thematisiert als dual-use Problematik).

Die Plattform beanstandet darüber hinaus, dass der delegierte Rechtsakt Atomkraftwerke miteinbezieht, die bis 2045 genehmigt werden (PSF 2022, S. 9). Da diese sich im Jahr 2050 voraussichtlich noch in der Bauphase befinden werden, können sie nicht zum Erreichen des 1,5° C Ziels aus dem Pariser Abkommen beitragen. Dennoch ist zu befürchten, dass sie  für das Erreichen der Klimaziele entscheidendes Kapital binden, sollten sie in die Taxonomie mit einbezogen werden (PSF 2022, S. 9).

Genau wie bei der vorgesehenen Umstellung der Gaskraftwerke bis ins Jahr 2035, wird auch bei den bis ins Jahr 2045 zu genehmigenden Atomkraftwerken kritisiert, dass dieses in der Zukunft liegende Kriterium bereits heute genutzt werden soll, um Investitionen als nachhaltig auszuweisen (PSF 2022, S. 15).

Fazit

Es wird deutlich, wie ambivalent und dehnbar die Begrifflichkeiten der Taxonomie sind. Das trifft unter anderem auf die verschiedenen Interpretationen der Begriffe der Übergangstechnologie und des DNSH-Kriteriums zu, aber auch auf die grundsätzliche Frage, was als nachhaltig zu verstehen ist. Dabei führen auch die verschiedenen Haltungen zu den in Frage stehenden Wirtschaftszweigen in den europäischen Mitgliedstaaten zu widersprüchlichen Wertungen. Das ist ein Problem hinsichtlich des erklärten Ziels der Taxonomie, Transparenz zu schaffen und Greenwashing auf dem Finanzmarkt verhindern zu wollen. Denn um Orientierung bieten zu können bei der Frage nach der Nachhaltigkeit einer Investition, muss die Taxonomie zumindest eine nachvollziehbare Nachhaltigkeitsdefinition präsentieren. Die beiden wichtigsten Kriterien sind dabei der wesentliche Beitrag zu einem der Umweltziele in Art. 9 und das DNSH-Kriterium aus Art. 17. Dass gerade diese beiden Begriffe durch den neuen delegierten Rechtsakt verkompliziert (vgl. PSF 2022, S. 13) und teilweise uminterpretiert (vgl. PSF 2022, S. 5, 6) werden, trifft somit den Kern der Taxonomie.

Gut zusammengefasst wird die dahingehende Problemlage in einem Kommentar von Elise Attal und Jan Vandermosten vom Netzwerk Principles for Responsible Investment (PRI): „Befürworter*innen der Aufnahme von Gas- und Atomenergie in die EU-Nachhaltigkeitstaxonomie werden argumentieren, dass diese Wirtschaftstätigkeiten eine Rolle bei der Energiewende spielen müssen. Dieses Argument geht am eigentlichen Punkt vorbei: Das Design der EU-Nachhaltigkeitstaxonomie zielt darauf ab zu definieren, welche Wirtschaftsaktivitäten grün sind, nicht welche Wirtschaftssektoren für den Übergang zu einer Netto-Null Wirtschaft bis 2050 benötigt werden.“ (Attal and Vandermosten 2021, eigene Übersetzung). Es wird dahingehend auch von einer fälschlichen Verknüpfung der Debatten um nachhaltige Finanzen und europäische Energieszenarien gesprochen, die den Goldstandard der Taxonomie gefährde (Tagliapietra 07.02.22).

Nicht nur die Wirkung der Taxonomie selbst ist dadurch bedroht, auch die von der Bewertung der Taxonomie ausgehende Signalwirkung auf die europäische Politik sollte nicht unterschätzt werden (Gawel 2021). Ein von der EU erteiltes „grünes“ Siegel für Gas- und Atomenergie und sei es als eine vorübergehende Ausweichlösung gedacht, kann weitreichende Auswirkungen auf die Klima- und Energiepolitik auf europäischer Ebene, in den einzelnen Mitgliedstaaten, sowie weltweit haben. Die Helmholtz Klima-Initiative warnt zudem vor einem „race to the bottom“, in dem die Standards verschiedener neuer Instrumente der nachhaltigen Finanzpolitik weiter verwässern (Schwarze 2022).

Zuletzt ist schade, dass in der beinahe schon ideologisch geführten Debatte um die Frage, ob ein Gas- oder Atomkraftwerk jemals als nachhaltig angesehen werden kann, leider andere Erwägungen der Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen beinahe ungehört verhallt sind. Beispielsweise ist es ein berechtigter Hinweis, dass Atomkraftwerke, die im Jahr 2045 genehmigt werden, zum Erreichen des 2050-Ziels aus dem Pariser Klimaschutzabkommen voraussichtlich nichts beitragen werden. Ebenso problematisch erscheint die Einstufung als nachhaltig, die von in der Zukunft liegenden Voraussetzungen abhängt, wie beispielsweise der Umstellung von Gaskraftwerken ab 2035.

Trotz des heftigen Gegenwindes, den der delegierte Rechtsakt aus der Wissenschaft, der Politik und nicht zuletzt auch aus Teilen des Finanzsektors (Euractiv 13.03.22) erfahren hat, soll er mit „überwiegender Mehrheit“ („overwhelming support“) von der Kommission angenommen worden sein. Nach den Vorschriften des europäischen Gesetzgebungsverfahrens ist er im Rat der europäischen Union nur noch durch eine qualifizierte Mehrheit aufzuhalten, das bedeutet von 72 % der Mitgliedstaaten (min. 20 Staaten), die gemeinsam 65 % der europäischen Bevölkerung vertreten (Art. 290 Abs. 2 i.V.m. Art. Art. 238 Abs. 2 AEUV). Im europäischen Parlament müsste eine Mehrheit von mindestens 353 Abgeordneten gegen den Rechtsakt stimmen (Art. 290 Abs. 2 AEUV). Mehrere europäische Mitgliedstaaten haben mit Klage gedroht, sollte er in derzeitiger Form in Kraft treten. Erste praktische Auswirkungen zeichnen sich indes bereits ab: Südkorea hat allem Anschein nach Gas in seine nationale grüne Strategie aufgenommen, als die Erwägungen der Europäischen Union öffentlich wurden (Schwarze 2022 ). Zudem verkündete der Präsident der Europäischen Investment Bank (EIB), dass die EIB die Taxonomie in Bezug auf Atomkraft und Gas möglicherweise nicht anwenden wird, da die bankeigenen Nachhaltigkeitsstandards an dieser Stelle höher sind (Bloomberg 27.02.22; EIB energy lending policy 2019, S. 15).

 

Eva-Maria Schatz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig und beschäftigt sich im Rahmen ihrer Promotion vornehmlich mit der unilateralen Steuerung von Agrarlandinvestments.

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