Gesetzespaket aus der Zivilgesellschaft zeigt den Weg zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze

Von Janna Ringena und Daniel Hansen.

Janna Ringena, Daniel Hansen

Anfang März 2022 wurde ein 1,5-Grad-Gesetzespaket an Vertreter:innen aller (demokratischen) Parteien sowie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz übergeben. Sie haben richtig gelesen: Es wurde übergeben, nicht im parlamentarischen Prozess erarbeitet. Urheberin des Gesetzespakets ist die Initiative GermanZero e.V. Die Autor:innen dieses Beitrags haben ehrenamtlich an dem Gesetzespaket mitgearbeitet.

GermanZero wurde Ende 2019 gegründet und bekennt sich zur Einhaltung des Pariser Übereinkommens, inklusive Klimaneutralität in Deutschland bis zum Jahr 2035. Es handelt sich um einen gemeinnützigen, überparteilichen und rein spendenfinanzierten Verein, der zur Erreichung dieses Ziels – zusammen mit rund 300 Ehrenamtlichen – einen umfassenden Gesetzesentwurf erarbeitet hat.

German Zero - Übergabe Gesetzespaket
v.l.n.r.: Dr. Julian Zuber (Geschäftsführer GermanZero), Lisa Badum (Bd. 90/Die Grünen, MdB), Lea Nesselhauf (hauptamtliche Mitautorin des Gesetzespakets) und Professor Stephan Breidenbach (Leitung Legal & Policy Team German Zero)
German Zero - Übergabe Gesetzespaket 2
v.l.n.r.: Andreas Jung (CDU/CSU, MdB), Henry Wilke (Redaktion/Koordination Gesetzesnormierung), Dr. Julian Zuber (Geschäftsführer GermanZero). © Bilder v. GermanZero e.V.

Entstehungsprozess

Zu Beginn des Entstehungsprozesses dieses Gesetzesentwurfs stand ein „Klimaplan“, in dem knapp 40 Expert:innen grobe Vorschläge für Maßnahmen zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze machten. Im Januar 2020 diente dieser Plan als Ausgangspunkt zur vertieften Recherche.

Sowohl hauptamtliche als auch ehrenamtliche Rechercheur:innen werteten infolgedessen weit über 1.000 nationale und internationale Studien aus, deren Erkenntnisse in sogenannte Wissensbäume überführt wurden. Die Wissensbäume zeigen auf, welche Probleme durch welche Lösungsmöglichkeiten gelöst werden können. Sie benennen Alternativen und versehen diese mit Argumenten pro und kontra. Die sich daraus ergebende Übersicht sieht in etwa wie folgt aus:

Im nächsten Schritt wurden aus diesen Wissensbäumen Thesenpapiere entwickelt, in denen sich die Rechercheur:innen für eine der alternativen Lösungsmöglichkeiten entschieden und ihre Entscheidung anhand der vorliegende Argumente begründeten. Dabei wurde besonders auf ein hohes Maß effektiver Emissionsreduktion bei gleichzeitiger Sozialkompatibilität geachtet.

Die Thesenpapiere wurden sodann kritisch überprüft: GermanZero richtete über 30 Werkstätten mit Expert:innen und Interessengruppen aus. Zudem fanden sogenannte „Zerolabs“ statt, in denen mit Bürger:innen über die soziale Verträglichkeit der Maßnahmen gesprochen wurde. Auf diese Art und Weise wurde sichergestellt, dass möglichst die Interessen aller Stakeholder bei der Auswahl der Maßnahmen berücksichtigt wurden.

Der am Ende dieses Prozesses stehende Plan enthielt rund 230 Maßnahmen und diente als Entwicklungslinie für das am Ende des Prozesses stehende Gesetzespaket. Zusammen mit den Wissensbäumen soll er ins Englische übersetzt werden, um auch international einfach zugänglich zu sein. Das Gesetzespaket von GermanZero kann so auch für andere Länder von Nutzen sein. Es ermöglicht in Folge dieses Prozesses auch eine Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsauswahl und kann so auch Alternativen inklusive ihrer Auswirkungen berücksichtigen.

German Zero - Weg zum Gesetzespaket

„Es ist nicht nur eine Strategie, sondern auch eine Umsetzung!“

Das Gesetzespaket zählt insgesamt knapp 1.500 Seiten und mehr als 500 neue oder überarbeitete Normen – sowohl aus dem nationalen als auch aus dem europäischen Recht. Es enthält übergreifende Regelungen im Grundgesetz, im Klimaschutzgesetz und im Rahmen eines CO2-Bepreisungsregimes. Zudem wurde – in Zusammenarbeit mit dem Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM) – ein Energiegesetzbuch entworfen. Insgesamt werden alle klimarelevanten Sektoren abgedeckt:

Im Verkehrssektor sollen etwa ab 2025 keine Neuzulassungen von PKW mit Verbrennungsmotor mehr erfolgen und gleichzeitig der ÖPNV massiv ausgebaut werden. Dazu wurden u.a. Änderungen in europäischen und nationalen Verordnungen sowie im Schienenpersonenfernverkehrsgesetz ausgearbeitet.

In der Landwirtschaft sollen flächengebundene Tierhaltung und ein spezielles Emissionshandelssystem Einzug halten. Dafür wurde u.a. eine europäische Richtlinie entworfen.

Für die Industrie ist neben der Reduktion des Energieverbrauchs der konsequente Umbau zur Kreislaufwirtschaft erforderlich. Dazu werden u.a. Verschärfungen im Kreislaufwirtschaftsgesetz, im Verpackungsgesetz und in der EU-Ökodesign-Richtlinie vorgeschlagen.

Für den Gebäudesektor setzt GermanZero auf Sanierungspflichten und den Austausch von Gasheizungen durch Wärmepumpen, die mit erneuerbarem Strom betrieben werden. Dazu sind u.a. Änderungen im Gebäude-Energie-Gesetz vonnöten.

Schließlich werden auch für den internationalen Ausgleich von THG-Emissionen verschiedene Instrumente und Gesetzesänderungen vorgeschlagen.

Folglich deckt das Gesetzespaket ein breites Spektrum ab, das in sich kohärent ausgestaltet wurde. Genau diesen Vorteil sehen auch Professor Stephan Breidenbach und Lea Nesselhauf mit Blick auf die methodische Herangehensweise von GermanZero (Webtalk). Die beiden Jurist:innen waren maßgeblich an der Entwicklung des Gesetzespakets beteiligt. Durch die unabhängige Dachorganisation des Vereins war eine sektorübergreifende und systemische Betrachtungsweise möglich, ohne dass eine Zersplitterung durch verschiedene Ministerien und Referate befürchtet werden musste.

Das Gesetzespaket ist damit nicht nur eine bloße Strategie, sondern enthält konkrete, ausformulierte Regelungen für eine rechtliche Realisierung konsequenter Klimapolitik, die eine Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze möglich macht. Dies betonte Stephan Breidenbach bei der digitalen Vorstellung des Gesetzespakets.

Politische Reaktionen

Die Reaktionen von Seiten der Politik waren laut Stephan Breidenbach positiv, wenn auch verhalten. Sämtliche Vertreter:innen aus den (demokratischen) Parteien lobten das Projekt und sagten eine gewissenhafte Berücksichtigung bei der Überarbeitung künftiger Klimaschutzgesetzgebung zu. Im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz werde es an die zuständigen Abteilungen und Referate weitergeleitet. Politiker:innen zeigen sich also insgesamt zwar interessiert, eine vollumfängliche Einbringung des Vorschlags in den Bundestag wird aber voraussichtlich nicht erfolgen.

Was bleibt nach Fertigstellung des Gesetzespakets?

Neben dem Gesetzespaket als Kernstück der Arbeit von GermanZero will der Verein im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes durch weitere Maßnahmen zur Umsetzung des Gesetzespaketes in der Praxis beitragen. Einen wesentlichen Pfeiler stellen die Politikgespräche dar. Auf mehreren Ebenen wird das Gespräch mit verantwortlichen Politiker:innen gesucht, um die Maßnahmen des Gesetzespaketes in die aktive Politik umzusetzen und immer mehr Menschen vom 1,5-Grad-Weg zu überzeugen. Dies geschieht sowohl auf Bundesebene als auch durch einzelne Lokalgruppen, die von ehrenamtlichen Unterstützer:innen geleitet werden. GermanZero zeigt also einen Weg für Bürger:innen, sich auch weiter aktiv einzubringen.

Dem Ansatz von GermanZero entspricht es, auf verschiedenen Ebenen für die Umsetzung der Maßnahmen zu werben und diese auch vor Ort aktiv umzusetzen. Ein Instrument hierfür sind die Klimaentscheide auf lokaler Ebene (etwa § 26 Abs. 1 GO NRW; § 23 Abs. 1 KrO NRW). GermanZero setzt durch eigene lokale Teams darauf, demokratische Mehrheiten für die Klimaneutralität 2035 zu organisieren und diese in Form von Anträgen und Begehren auf lokaler Ebene in die Politik zu tragen. Dadurch kann die klimapolitische Richtung vor Ort aktiv beeinflusst werden. GermanZero bietet den Personen vor Ort eine Plattform, um das Anliegen, als Kommune klimaneutral zu werden, an die Verantwortlichen heranzutragen. Mittlerweile sind 70 Teams im Namen für GermanZero auf lokaler Ebene aktiv und haben bereits mehr als 50.000 Unterschriften gesammelt. Auf der Webseite von GermanZero können Informationen zur aktiven Mitarbeit und Neugründung lokaler Teams abgerufen werden. Mit dem Gesetzespaket ist die Arbeit von GermanZero nicht beendet, sondern muss in Kleinen und Großen noch umgesetzt werden.

Für das Ziel, dass Deutschland bis 2035 klimaneutral wird, bedarf es der Ausschöpfung sämtlicher Einflussmöglichkeiten. Politikgespräche und Klimaentscheide sind die Eckpfeiler der Umsetzung des Plans von GermanZero – lokal und unter Bürger:innenbeteiligung. Daneben betreibt der Verein ein Gesetzes-Monitoring, das die aktuellen Regelungskonzeptionen der Koalition durch ein hauptamtliches Team aus Jurist:innen und Physiker:innen auf den Prüfstand stellt und im Wege konstruktiver Kritik darauf abzielt, die Schwachstellen der aktuellen Regelungskonzeptionen herauszuarbeiten und mit Vorschlägen zu flankieren, die Einsparungspotentiale aufzeigen (zu den Monitoring-Ergebnissen des aktuellen Koalitionsvertrages).

Weiterer elementarer Bestandteil des Portfolios von GermanZero ist ein Emissionsmodell, mit dem Emissionsquellen und Minderungswirkungen präzise erfasst werden können. Dieses Emissionsmodell, das ebenfalls die Basis für das Gesetzes-Monitoring darstellt, versetzt GermanZero in die Lage, anstelle grober Szenarien konkrete Berechnungen für Emissionen hinsichtlich bestimmter Regelungen anzustellen. Angelehnt ist das Verfahren an das Emissionsinventar des Umweltbundesamts und entspricht damit allgemeinen Standards.

1,5-Grad-Gesetz liegt auf dem Tisch

Mit dem zweiten Teil des Sachstandsberichts zum Klimawandel hat der Weltklimarat (IPCC) erneut mit Dringlichkeit darauf hingewiesen, dass die Folgen schnell und gravierend eintreten werden und die Handlungsspielräume beschränkt sind. Mit dem Gesetzesentwurf hat GermanZero nun einen vollständigen und umfassenden Entwurf für eine klimaneutrale rechtliche Umstrukturierung vorgelegt, der unmittelbar aus der Zivilgesellschaft entspringt und durch zahlreiche Ehrenamtliche und wenige Hauptamtliche in monatelanger Arbeit entwickelt wurde. Der Gesetzesentwurf ist unabhängig, ohne Parteibindung oder Lobbyinteressen und entstammt unmittelbar der Bürger:innenschaft.

Ein solches Verfahren ist beispiellos und durch den ganzheitlichen Ansatz auch alternativlos. Vor dem Hintergrund, dass im Rahmen des Gesetzespakets sowohl wissenschaftliche Erkenntnisse als auch Sozialkompatibilität und Stakeholderinteressen berücksichtigt wurden, wäre es ausdrücklich zu begrüßen, dass dieses Gesetzespaketes durch die Bundesregierung und die verantwortlichen Politiker:innen umfassend in die Klimaschutzgesetzgebung miteinbezogen würde. Etliche politische Prozesse können durch die erheblichen Vorarbeiten abgekürzt werden. Das gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass durch die aktuellen Ereignisse die politisch Verantwortlichen verständlicherweise mit der Bewältigung der Corona-Pandemie sowie außenpolitischer Krisen in besonderem Maße gefordert sind und Kapazitäten dadurch gebunden werden. Das Gesetzespaket von GermanZero kann der Politik daher einen Ausweg aus dem Dilemma begrenzter Kapazitäten zur eigenen Erarbeitung ganzheitlicher Regelungskonzeptionen auf dem Weg zur Klimaneutralität und dem zeitlichen Handlungsdruck bieten. Umso bedauerlicher ist es, dass sich die Reaktionen aus der Politik noch verhalten zeigen. Der Gesetzesentwurf liegt ausformuliert auf dem Tisch und kann ohne Umschweife in die Parlamente eingebracht werden. Nun sind die Politiker:innen gefragt.

Janna Ringena ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Energie-, Umwelt und Seerecht an der Universität Greifswald und Doktorandin im Kompetenznetzwerk „Zukunftsherausforderungen des Umweltrechts“. Als ehrenamtliche Rechercheurin hat sie bei GermanZero an den Normierungen für die Sektoren Industrie und Verkehr mitgewirkt.

Daniel Hansen ist Doktorand an der Ruhr-Universität Bochum und promoviert zu einem baurechtlichen Thema. Als ehrenamtlicher Rechercheur hat er bei GermanZero an den Normierungen für den Sektor Industrie mitgewirkt.

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