Energiewende auf dem Prüfstand – Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und der Kreislauf der PV-Anlagen

Von Maximilian von Tschirnhaus.

Maximilian von Tschirnhaus

Am 1.1.2023 ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Kraft getreten. Der Anwendungsbereich des Gesetzes wird von der breiten Öffentlichkeit hauptsächlich in Bezug auf Textilien produzierende Großunternehmen wahrgenommen, die ihre Ware in Fabriken produzieren lassen, in denen Arbeitssicherheit ein Fremdwort ist und Kinder sowie Frauen mehr Stunden arbeiten als es die deutschen Arbeiter von Gesetzes wegen seit mehr als 100 Jahren dürfen. Oder auf Unternehmen, die in Afrika Menschen in enge Minen und Schächte schicken, um Edelsteine oder andere Rohstoffe an die Erdoberfläche zu bringen, ohne die Gesundheit oder das Leben des einzelnen Arbeiters zu sichern. Inwiefern kann das Lieferkettengesetz aber auch eine Rolle in der bereits prekären Situation der Energieversorgung spielen? Findet es auch Anwendung auf Unternehmen, die durch ihr Unternehmertum die Energieversorgung in Deutschland und darüber hinaus gewährleisten?

Gesetzliche Pflichten und Folgen der Verstöße

Gem. § 1 Abs. 1 S. 1 und 2 LkSG fallen alle Unternehmen, die ihren Verwaltungssitz oder eine Zweigniederlassung in Deutschland haben und mindestens 3000 Arbeitnehmer im Inland beschäftigen, in den Anwendungsbereich des Gesetzes. Ab dem 1.1.2024 sind dann auch Unternehmen erfasst, die mindestens 1000 Arbeitnehmer beschäftigen. Neben entsandten Arbeitnehmern werden auch Leiharbeiter erfasst, die mehr als sechs Monate für das Unternehmen tätig werden.

Die vier großen Energieversorger, RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW, unterfallen mit jeweils mehr als 10.000 Arbeitnehmern bereits mit dem Inkrafttreten des Gesetzes, mithin ab dem Jahr 2023, dessen Anwendungsbereich.

So müssen diese Unternehmen gem. § 6 Abs. 2 S. 1 LkSG eine Grundsatzerklärung veröffentlichen, regelmäßige Risikoanalysen gem. § 5 Abs. 1 S. 1 iVm § 3 S. 2 Nr. 3 LkSG durchführen und den Dokumentations- und Berichtspflichten nachkommen, vgl. § 10 LkSG. Im Fall von durch die Risikoanalyse entdeckten Risiken sind gem. § 6 Abs. 1 iVm Abs. 2 bis 4 LkSG Präventionsmaßnahmen nicht nur im eigenen Geschäftsbereich, sondern auch in dem des unmittelbaren Zulieferers (vgl. Abs. 4) zu implementieren. Gem. § 7 Abs. Abs. 1 S. 1 LkSG sind Abhilfemaßnahmen durchzuführen. Das bedeutet: im eigenen Geschäftsbereich im Inland sind Menschenrechtsverletzungen und Verletzungen von umweltbezogenen Pflichten einzustellen, im eigenen Geschäftsbereich im Ausland sind diese i.d.R. zu beenden. Der unmittelbare Zulieferer hat die Verletzungen ebenfalls grundsätzlich einzustellen. Sofern dies durch den Einfluss des Unternehmens auf seinen Zulieferer nicht möglich ist, müssen Konzepte zur Minimierung und Beendigung erarbeitet werden. Diese Pflicht kann bis hin zum Abbruch der Geschäftsbeziehungen führen.

Darüber hinaus bedarf es der Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens, das ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen Beschwerden über mögliche Verstöße ermöglicht (vgl. § 8 Abs. 1 LkSG). Schließlich ist das Unternehmen gem. § 9 LkSG verpflichtet, bei „tatsächlichen Anhaltspunkten“ für Verletzungen von menschenrechts- und umweltbezogenen Pflichten (zur näheren Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs siehe HK-LkSG/Gehne/Humbert/Philippi § 9 Rn. 15 – 19) Risikoanalysen betreffend ihre mittelbaren Zulieferer durchzuführen, Präventionsmaßnahmen zu implementieren und Konzepte zur Minimierung und Beendigung von Verletzungen menschenrechtsbezogener und umweltbezogener Pflichten zu erstellen.

Sollte gegen die Sorgfaltspflichten verstoßen werden, sind ein Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge (vgl. § 22 LkSG) sowie die Verhängung eines Zwangsgeldes (vgl. § 23 LkSG) oder eines Ordnungsgeldes (vgl. § 24 LkSG) möglich.

Verstöße gegen Menschenrechte und mögliche Umweltrisiken durch die Rohstoffgewinnung und Verarbeitung

Für die oben genannten Unternehmen werden die (meisten) Pflichten und möglichen Sanktionen nur relevant, wenn sie erstens eine Lieferkette haben und zweitens Güter von Lieferanten beziehen, welche geschützte Rechtspositionen (vgl. § 2 LkSG) verletzen könnten.

Die großen Energieversorger haben allesamt eine internationale Lieferkette, teilweise eigene Standorte und Betriebe inner- und außerhalb der EU. Diese Lieferkette muss kontrolliert werden. Insbesondere die Ausrichtung auf die Energiegewinnung aus erneuerbaren Energien und der damit einhergehende Abbau von Rohstoffen, die Produktion der Anlagen, der anfallende Abfall und die Arbeitsbedingungen vor Ort können hinsichtlich der einzuhaltenden Sorgfaltspflichten eine Rolle spielen. Die Energiewende beruht aufgrund der geologischen Beschaffenheit Deutschlands auf zwei Schlüsseltechnologien: Windkraft und Solarenergie. Insbesondere die Anlagen zur Gewinnung von Energie aus Sonneneinstrahlung sind hinsichtlich seltener Erden rohstoffintensiv.

Der Abbau der einzelnen Stoffe spielt zwar für die Energieversorger keine direkte Rolle, da sie die PV-Anlagen nur betreiben und nicht produzieren. Als mittelbar Belieferte sind sie trotzdem verantwortlich, wenn sie „tatsächliche Anhaltspunkte“ für Verletzungen von menschenrechts- und umweltbezogenen Pflichten haben.

Die Rechtspositionen, die sich aus den Menschenrechten ergeben, beziehen sich hauptsächlich auf die Arbeitsbedingungen. Aufgezählt werden unter anderem Sklavenhaltungsverbote, Beschäftigungsverbote (bspw. verschiedene Formen der Kinderarbeit), ein Verbot des Unterdrückens von Koalitionen sowie ein Gebot der Lohnzahlung. Daneben bestehen umweltbezogene Pflichten. In § 2 LkSG wird auf das Minamata Übereinkommen, das Basler Übereinkommen und das Übereinkommen über persistente organische Stoffe, das sog. Stockholmer Übereinkommen, verwiesen.

Die Gewinnung der in PV-Anlagen notwendigen Stoffe ist abhängig von der verwendeten Halbleitertechnologie. Zu unterscheiden sind Basismaterialien wie Cadmium-Tellurid und Kupfer-Indium-Gallium-Diselenid. Cadmium und Tellur werden beide als Nebenprodukte gewonnen: Cadmium als Nebenprodukt der Zinkverhüttung und Tellur als Nebenprodukt der Kupferherstellung. Sowohl der Zink- als auch der Kupferabbau wird unter anderem in Standorten wie Australien (Zink) und Chile (Kupfer), aber auch in erheblichem Maße in China betrieben. China ist darüber hinaus der Haupthersteller von Cadmium und Tellur.

Für die Speicher ist Cobalt essenziell. Der weltweit größte Standort für den Abbau von Cobalt ist die Demokratische Republik Kongo.

Die Herstellung der PV-Module und Speicher findet nach dem Niedergang der Industrie in Deutschland schwerpunktmäßig in China statt. Die Energieversorger müssen demnach gewährleisten können, dass die Unternehmen in China, der Demokratischen Republik Kongo und weiteren Staaten erstens die Rohstoffe unter Einhaltung der Sorgfaltspflichten abbauen, zweitens nur Stoffe verwenden, die in Einklang mit dem Stockholmer Übereinkommen, dem Basler Übereinkommen und dem Minamata Übereinkommen stehen, und drittens die PV-Anlagen unter Einhaltung der in § 2 LkSG genannten Arbeitsbedingungen herstellen.

Problematisch erscheint, dass China die genannten Rohstoffe sowohl in China selbst als auch über staatliche Unternehmen durch Zwangsarbeit herstellen (lässt) (Department of Labour, United States of America, 2022 List of goods produced by Child Labor or Forced Labor, V.). So werden ca. 45% des für PV-Anlagen genutzten Siliziums in Xinjiang unter Zwangsarbeit von der unterdrückten muslimischen Volksgruppe der Uiguren hergestellt (Ebd. S. 77). Ebenso wird Cobalt unter Einsatz von Kinderarbeit in der Demokratischen Republik Kongo von chinesischen Unternehmen abgebaut (Ebd. S. 76).

Die Umweltrisiken rücken gegenüber den Menschenrechtsverletzungen in den Hintergrund. Zwar lassen sich auch Stoffe wie Chlorparaffine, die vom Stockholmer-Übereinkommen in Anlage A als verbotene Stoffe aufgeführt werden, in PV-Anlagen finden. Diese Stoffe sind jedoch nicht essenziell, sodass Alternativen verwendet werden können (Secretariat of the Stockholm Convention, http://chm.pops.int/Implementation/Alternatives/AlternativestoPOPs/ChemicalslistedinAnnexA/Shortchainchlorinatedparaffins(SCCPs)/tabid/5986/Default.aspx).

Am Ende der Kette steht die Entsorgung. Nach § 2 Abs. 3 Nr. 6 – 8 LkSG sind Ein- und Ausfuhr gefährlicher Abfälle i.S.d. Basler Übereinkommens in Nicht-Vertragsstaaten sowie Vertragsstaaten, die nicht ordnungsgemäß i.S.d. Übereinkommens mit diesem Abfall verfahren, als umweltrechtliches Risiko bestimmt. Einige der benötigten Rohstoffe wie Cadmium, Tellur und Kupfer sind gefährliche Abfälle i.S.d. Basler Übereinkommens (vgl. Anlage I des Basler Übereinkommens).

Ein scharfes Schwert ist diese Regelung auf den ersten Blick jedoch nicht, da inzwischen 189 Staaten Vertragsparteien sind (Ratifiziert haben es 53 Staaten – United Nations Treaty Collection: Chapter XXVII 3.; https://treaties.un.org/pages/ViewDetails.aspx?src=IND&mtdsg_no=XXVII-3&chapter=27&clang=_en). Zwar benötigen die Unternehmen eine Ausfuhr- und eine Einfuhrgenehmigung der jeweiligen Staaten. In der Praxis ist jedoch davon auszugehen, dass mit Anwachsen eines Müllproblems Genehmigungen erleichtert erteilt werden. Virulent kann die Regelung werden, wenn Staaten mit gefährlichen Abfällen nicht ordnungsgemäß umgehen und die Geschäftsführung/Abteilung über die eingerichteten Beschwerdeverfahren (vgl. § 8 LkSG) Kenntnis über diese Praktiken erhalten.

Das Recyclen von PV-Anlagen ist zwar zum großen Teil technisch möglich, aber praktisch aufwendig und damit teuer. Die Folge ist, dass vieles verbrannt wird (https://www.erdgas-suedwest.de/natuerlichzukunft/recycling-photovoltaikanlagen/#recycling%20photovoltaik-anlagen). Hinsichtlich der Akkumulatoren muss beachtet werden, dass einige mit Quecksilber versetzt sind. Zwar bestehen Ausnahmen zum Minamata-Übereinkommen. Diese Ausnahmen sind jedoch mit dem Jahr 2020 abgelaufen (vgl. Anhang I des Minamata-Übereinkommens). Energieversorger müssen sodann in ihrer Lieferketten sicherstellen, dass quecksilberversetzte Batterien kein Teil ihrer PV-Anlagen werden.

Mögliche Sanktionen?

Schließlich erscheint es fraglich, ob tatsächlich empfindliche Sanktionen für die Energieversorger folgen. Dazu müssten sie nach § 24 Abs. 1 LkSG gegen eine der genannten Sorgfaltspflichten verstoßen haben und damit ordnungswidrig handeln. Diese Sanktionen bestehen hauptsächlich in Ordnungsgeldern. Abhängig von dem Verstoß liegen die Ordnungsgelder zwischen 100.000 € und, da die vier Unternehmen jeweils mehr als 400 Mio. € Jahresumsatz erwirtschaften, 2 % des weltweiten Umsatzes des einzelnen Unternehmens. Zwar müssen die Unternehmen bei entdeckten Verstößen der unmittelbaren und mittelbaren Zulieferer gegen die genannten umwelt- und menschenrechtsbezogenen Pflichten Präventionsmaßnahmen und Abhilfemaßnahmen (vgl. §§ 6, 7, 9 LkSG) vollziehen. Die für die Energieversorger empfindlichen Strafen würden aber auf Verstöße gegen § 9 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3 LkSG folgen. Dazu dürften Risikoanalysen nicht richtig oder vollständig durchgeführt (Nr. 1) oder Konzepte zur Minimierung, Beendigung oder Verhinderung nicht erstellt oder umgesetzt worden sein (Nr. 3).

Fazit

Es lässt sich somit zusammenfassen, dass sowohl der Abbau der für PV-Anlagen benötigten Rohstoffe als auch die Herstellung in der gegenwärtigen Art und Weise vielfache Verstöße gegen die im LkSG aufgestellten Pflichten darstellen. Die Abfallentsorgung ist weniger hindernisreich, bedarf jedoch staatlicher Anreize und einer zielgerichteten Forschung. Um hohe Strafzahlungen zu verhindern, müssen die Unternehmen wohl strukturierte und funktionierende Abteilungen einrichten, die mit der Umsetzung, Konzepterstellung und Kontrolle der Sorgfaltspflichten betraut werden. In Anbetracht einer möglichen europäischen due diligence Rechtsetzung, den gesteigerten Berichtspflichten (vgl. Corporate Sustainability Reporting Directive) und einem möglichen CO2 Grenzausgleichmechanismus (CBAM) sind Unternehmen darauf angewiesen, eine Sustainability/Berichtspflichten-Abteilung einzurichten, die sich den erhöhten Anforderungen widmet.

Maximilian von Tschirnhaus ist Wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Umweltrecht, und Verfassungsgeschichte in Bielefeld.

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